Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 09.11.2021 entschieden, dass ein Kaufvertrag über den Patientenstamm einer Zahnarztpraxis nichtig ist und sogar Korruption darstellen kann.
Zum Fall:
Der Kläger ist niedergelassener Zahnarzt in Regensburg. Die Beklagte war ebenfalls in Regensburg niedergelassen und verfügte über einen Patientenstamm von rund 600 Patienten. Die beiden Zahnärzte schlossen einen Vertrag über die Übernahme des Patientenstamms („Goodwill“) zu einem Kaufpreis von 12.000 €. Dafür sollte der Kläger zukünftig die Patienten in seiner eigenen Praxis weiterversorgen. Eingehende Anrufe und Internetaufrufe sollten auf das Telefon bzw. die Domain des Klärgers umgeleitet werden. Zudem sollte auf den neuen Behandler frühzeitig hingewiesen und dieser entsprechend empfohlen werden („Werbemaßnahmen“). Soweit die Einwilligung der Patienten vorliegt, sah der Kaufvertrag außerdem vor, dass die Patientenkartei der Beklagten mit sämtlichen Krankenunterlagen in das Eigentum und den Besitz des Klägers übergehen sollte. Wenn diese Einwilligung nicht vorliegt, sollte der Kläger die Akten in einem vor Zugriffen geschützten Format in Verwahrung nehmen („Zwei-Schranken-Modell“.)
Das Urteil:
Der BGH trat diesem Vorhaben entschieden entgegen. Der „Verkauf eines Patientenstamms“ sei rechtlich nicht möglich. Für die Zuweisung von Patienten oder Untersuchungsmaterial ein Entgelt oder eine sonstige wirtschaftliche Vergünstigung zu fordern, sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren sei bereits nach der Berufsverordnung für Zahnärzte (im vorliegenden Fall nach § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte bzw. entsprechend auch in den Berufsordnungen der anderen Länder zu finden) nicht gestattet. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um ein sog. Verbotsgesetz (i.S.d. § 134 BGB). Der Verstoß gegen dieses gesetzliche Verbot führt daher zur Nichtigkeit der gesamten vertraglichen Vereinbarung (§ 139 BGB).
Beide Parteien konnten daher keine Rechte oder Pflichten aus dem Vertrag herleiten.
Straftatbestände möglich:
Hätten die Parteien den Vertrag dennoch vollzogen, würden sie sich nach der Entscheidung des BGH sogar der Straftatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen (§§ 299a, 299b StGB) strafbar machen.
Hintergrund? Der Begriff der „Zuführung“ sei dem der „Zuweisung“ gleichbedeutend und meine jede Einwirkung auf Patienten mit der Absicht deren Wahl unter Ärztinnen/Ärzten oder anderen Leistungserbringern zu beeinflussen.
Im konkreten Fall habe sich die Beklagte sogar vertraglich explizit dazu verpflichtet, ihren Patienten eine Fortsetzung ihrer Behandlung durch den Kläger zu empfehlen. Auch in der Rufumleitung und der Weiterleitung der Internetaufrufe sei eine Zuweisung zu sehen, weil damit beabsichtigt gewesen sei, die Entscheidung der Patienten der Beklagten dahingehend zu beeinflussen, sich durch den Kläger weiterbehandeln zu lassen. Die nach dem Vertrag zu zahlende Vergütung i.H.v. 12.000 € sei als vertraglich vereinbarte Gegenleistung und damit als Entgelt im Sinne der Berufsordnung für die Zuweisung der Patienten in Gestalt der „Werbemaßnahmen“ und der Übergabe der Patientenkartei durch die Beklagte anzusehen.
Zusammenfassung:
Der BGH hat in dem Beschluss nochmals klargestellt, dass insbesondere die Empfehlung an sich eine Zuweisung darstellt, wenn damit die Intention verbunden ist, die Entscheidung der Patienten zu beeinflussen. Offengelassen wurde, ob der reine Verkauf der Kartei ohne die Werbemaßnahmen zulässig gewesen wäre. Es wird lediglich aufgeführt, dass eine Gleichstellung des Verkaufs einer Praxis im Ganzen und dem reinen Verkauf eines Patientenstamms rechtlich nicht möglich sei, wobei in der Begründung ausschließlich auf die Werbemaßnahmen abgestellt wird.
Beachtlich ist der Beschluss dahingehend, dass der BGH keine Ausführungen dazu macht, dass es einige Praxen gibt -insbesondere die der Psychotherapeuten- die rein technisch gesehen nur einen Goodwill, also ihre Kartei als Wert vorweisen können. Ähnlich liegt der Fall, wenn die Praxis lange nicht mehr renoviert wurde oder der Käufer an den materiellen Gegenständen nicht interessiert ist und somit der Wert des Immateriellen den Wert des Materiellen bei weitem übersteigt.
Außerdem lässt sich der BGH nicht zu der Zulässigkeit des häufig angewendeten „Zwei-Schranken-Modells“ ein, welches immer wieder zu Verunsicherungen führt.
Lassen Sie sich daher im Zweifel immer rechtlich umfassend beratend. Gern unterstützt Sie unsere »Rechtsabteilung bei weiteren Fragen.